Zusammenfassung Prozess JB versus Niederländische Fonds voor de Podiumkunsten (Fonds für die Darstellende Künste)
27/4/12
DDR-Zustände in der Holländische Musikszene
Ein kleines Ghetto der Moderne
In den Niederlanden, einer der reichsten Länder Europas, werden die neue Künste – bildende Kunst und Musik – generös vom Staat gefördert. Diese kleine aber arbeitstüchtige Nation ist nicht von grossen, idealistischen Nationalideeen geboren, wie der französische ‘Gloire de la nation’, oder die Einheitsidealen Italiens oder Deutschlands, aber von der Idee einer kleinen, bürgerlichen Gemeinschaft gewurzelt in Geschäft und Protestantismus, gegründet in einer Freiheit von einer der damaligen wichstigsten Europäischen Grossmächten (Spanien) abgewonnen. Wie die Künste im ‘Goldenen Zeitalter’ (17. Jahrhundert) von den Holländischen reichen Bürgern getragen wurden, hat im 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts der Staat die Förderung der neuen Künsten übernommen, weil ein bürgerliches Mäzenatentum abgebröckelt war und der Modernismus auf anfängliches Unverstandniss stiess.
Diese schöne Idee des Staatsmäzenatentum für neue Kunst, die in ihre Progressivität noch nicht vom Publikum verstanden wurde, hat sich inzwischen zu einer ausgedehnten Kunstbürokratie entwickelt, worin Ideeen über die Art der neuen Kunst wie enstanden in den sechziger Jahren die Grundlage der Selektion bilden. Wer entscheidet, welche neue Kunst als bedeutend gefördert werden soll? Man kann nicht alles unterstützen und man braucht Kriterien, womit die Unterschiede zwischen Bedeutendes und Unbedeutendes auf rechtfertigst mögliche Weise zu der Gestaltung einer neuen, auch international bedeutenden Holländischen Kunst beitragen. Die Holländische Obrigkeit kann selbstverständlich keine künstlerische Richtlinien geben, wie es in totalitären Staten geschah. Die Praxis, wo das Publikum entscheidet, kann auch nicht als Qualitätsrichter entscheiden: das Publikum versteht ja die moderne Kunst kaum und wo es mit der offiziellen neuen Musik konfrontiert wird, ist müde Ablehnung und milde Gleichgültigkeit die übliche Reaktion. Also sind es die Experten, die das alles ganz genau taxieren können. Und wo findet man die Experten? Unter den mutigen Männer und Frauen, die sich gegen allen kleinbürgerlichen Vorurteilen des Publikums um eine wertvolle neue Kunst bemühen: die moderne Künstler selber, die Kuratoren modernen Kollektionen, und in der Musik die Komponisten, Leiter modernen Ensembles, und Programmierer und Musiker die herzhaft die problematische Lage der neuen Musik, die sich noch immer in einem Ghetto befindet, mit unermüdlichen Idealismus verbessern wollen. Sie werden allen schon von der Staat gefördert, also wissen sie genau wie die Bürokratie am besten für die hohe Idealen der neue kunst und neue Musik eingesetzt werden soll.
Das Staatsmäzenatentum herausgefordert
Nun hat rezent ein Niederländischer Komponist mit einem einzigartigen Prozess die künstlerische Authorität der Staatsbürokratie mit Erfolg herausgefordert. Interessant an dieser Sache ist, und Grenzüberschreitend für die neue Kunst und ihre Förderung im Allgemeinen, dass es sich zeigt dass wo die Ideeen der Moderne des letzten Jahrhunderts sich in einer vom Staat geförderten Bürokratie etablieren, also sich in einem ‘offizieller Kontext’ bilden, diese Bürokratie sich ganz auf derselbe Weise benehmt als die lenkenden Kunstideologieen eines totalitären Staates: ‘unangepassten’ Künstler, auch wenn sie gut in der freien Praxis funktionieren, können von ihrem gerechten Einkommen ausgeschlossen werden, so dass sie in ihre Arbeit schwer gehindert werden, oder sogar die Arbeit unmöglich gemacht werden können – im starken Kontrast mit der gesellschaftlichen Auftrag: die Unterstützung neuer Kunst, zur Entwicklung neuer Ideeen.
Für die neue Musik ist in Holland die Förderung in einem zentralen Staatsfonds organisiert, der in diesem Land der einzige seriöse Brunnen einer honorierung der Kompositionsaufträge formt, und dort hat sich ein merkwürdiges Problem gezeigt. Nach jahrenlange Streit gegen dem Holländischen ‘modernen Establishment’, der ihm fast immer Bezahlung seiner Aufträge aus der Musikpraxis über den Zentralfonds verweigert, hat John Borstlap das Musikfonds vor Gericht geladen, weil – seiner Meinung nach – wieder einen Antrag abgelehnt worden war, ohne auf eine sorgfältige Erwägung gegründet zu sein. In dem Prozess zeigte sich, dass die Experte sich von Kriterien bedienen, die für die etablierte neue Musik in Holland massgebend geworden sind und die das Begriff ‘originell’ (ein wichtiges Fondskriterium) auf Konzeptmusik wie von John Cage basieren. Dies mag ein extremes Beispiel sein: Cage ‘schrieb’ ein ‘Werk’ das ausschliesslich aus Stille besteht (4’33) und war deshalb ein Anhänger Marcel Duchamp’s, der in 1917 mit seinem ausgestellten Pissoir die Mode des ‘Konzept Art’ auslöste, aber es reflektiert das Problem des moderne-Musikestablishment, neue Musik die sich anderer Aesthetik als die inzwischen datierte Avantgarde eines vergangenes Jahrhunderts zuwendet, zu akzeptieren, ein Problem dass sich nicht nur in Holland aber auch sonstwo ereignet.
Es geht aber noch weiter: im genannten Prozess brachte Borstlap ein Kinderstück ein, von einem anderen Holländischen Komponisten für Honorierung dem Fonds angeboten, von seinen Jüngsten von 5 und 10 Jahren als quasi-avantgarde-Posse auf einem Keyboard herumgebüffelt, mit einem Komputerprogramm zu einer spielbaren Partitur übersetzt und tatsächlich vom Fonds seriös genommen, honoriert und komplimentiert als ‘besser als Ihre übliche Musik’ (ein Film dieses wunderliches Kinderwerkes, ‘Bubbles’, steht auf YouTube:
www.youtube.com/watch?v=EkWyKMiTdzQ
Borstlap’s Absicht war natürlich, mit diesem Beispiel zu zeigen, wie ungegründet künstlerische Bewertungen sein können wenn sie auf völlig datierten und beschränkten Ideeen basiert sind, und die Immoralität der Ablehnungen eines für die neue Kunst eingerichtetes Staatsfonds, einer neuen Musik gegenüber die andere Idealen als die alte Avantgarde nachstrebt. Nämlich, eine solche Führung hat eine mit totalitären Staten vergleichbare Ausgrenzung zu folge, während es von dem Staat her natürlich keine Richtlinien für Stile oder Richtungen gebe. Es sieht so aus, dass die Interessegruppe der Experte in den Ausschüssen des Fonds mit ihren eigenen datierten und unsinnigen Kriterien die Produktion neuer Musik überwachen wollen.
Restauration der Tradition gegen datierte Avantgarde?
Auf der letzten Gerichtssitzung waren die Vertreter des Fonds gar nicht von dem Beispiel des Kinderstückes beeindruckt: im Gegenteil, es sei ein völlig legitimes Verfahren, viele moderne Komponisten machen es so schon Jahrzehnten und trotz der Absicht des Vaters der Kinder mit diesem ‘Werk’ die Unsinnigkeiten der etablierte Avantgarde, wie in Holland von Staatswege verankert, zu entlarven, schien das Fonds es nicht anders als eine überzeugende Bestätigung seines künstlerischen Authoritäts zu betrachten. Von dem Richter auf den Zahn gefühlt über ignorierten Empfehlungen von internationalen Musikexperten, von Borstlap angeführt, erklärten die Fondsvertreter dass ihre Ausschüsse allwissend seien und deshalb über alle Musik definitive Urteilen fällen können, was mit den Beispielen von John Cage und das Kinderstück natürlich etwas fragwürdig geworden ist.
Borstlap hat den ersten Schlag gegen dem modernen Establishment gewonnen: das Gericht gab ihm anfangs April recht, bestätigte dass der Fonds tatsächlich unsorgfältig gehandelt hat, und verurteilte den Fonds zur Bezahlung der Prozesskosten. Aber es entscheidete auch, dass der Fonds bei seinem Ablehnung bleiben konnte, mit der Folge dass Borstlap noch immer von dem einzigen Holländischen Förderbrunnen ausgesperrt bleibt. Er legt darum gegen dieses Urteil Berufung ein.
All dies wirft die Frage auf: was ist denn so unrichtig an Borstlap’s Musik dass dieser Fonds sich so in einer datierten Kunstposition eingräbt? Ist sie sowieso schlecht, oder ist sie schlecht weil sie nicht den alten Idealen unterschreibt? Im letzten Fall könnte dem Fonds natürlich eine totalitäre Kunstpolitik angehängt werden. Also, der Fonds hat, laut seines Ablehnungstextes, die Musik Borstlap’s als ‘un-originell’ abgeschätzt, nicht ein Urteil nach künstlerischen Richtung, aber nach künstlerischen Qualität. Der Fällen Cage und Kinderstück Bubbles eingedenk, riechen wir hier die vertraute Rhetorik der Nachkriegsmoderne; wenn Cage originell ist, möchten wir gerne etwas von der un-originellen Musik wissen. Es zeigt sich, dass Borstlap in der Musik eine Restauration der Tradition nachstrebt, wie in den bildenden Künsten schon seit Jahren (und mit zunehmender Erfolg) die figurative Malerei in Aufschwung ist – man denke an die Leipziger Schule und ihre Nachwuchs. Borstlap ist nicht der Einzige: in Frankreich rührt sich der brilliante Ex-Modernist Nicolas Bacri mit einer getriebene, tonal-traditionelle Musik, wie in Russland Alexander Smelkov die Russische Tradition wiederbelebt, und in England David Matthews das Erbe Benjamin Brittens weiter entwickelt. Borstlap ist einer der frühesten Vertreter dieser Richtung und seine Orchester- und Kammermusik war in den Niederlanden, in England und Frankreich aufgeführt worden. Wo seine Musik klingt, hat sie einen Publikumserfolg: während die Musiksprache an die des Anfangs des 20. Jahrhunderts erinnert (die letzte Blütezeit der Europäische Musik überhaupt), ist sie doch persönlich, expressiv, lyrisch, und sehr gut gemacht. Seine Renaissance- Ideeen, wie rezent in seinem Buch ‘The Classical Revolution’ niedergelegt (erscheint Anfang nächstem Jahre bei dem Scarecrow Press in New York) finden Anklang bei international bekannten Musikexperte wie Roger Scruton, der über Borstlap schreibt: “Einer der wirklich bemerkenswertigen Intellekte unserer Zeit, ein seriöser und inspirierter Komponist, und eine Persönlichkeit mit einer ungewöhnlichen Einsicht in der Rolle des Künstlers im Allgemeinen, und besonders des Komponisten, in den kulturellen Verhälltnissen wie die sich im modernen Europa entwickelt haben”. Und: “Seine authentische Originalität ist ein Verweis an der Pseudo-Originalität die heute so oft belohnt wird”. Also, nicht eine Künstlererscheinung die zurecht einfach mit einem Fehlen an altmodischen avantgardistischen Kriterien von einem Staatsbürokratie als untauglich betrachtet werde, von seinen Arbeiten leben zu dürfen.
Wenn die Fortschritt verältet
Trotz eines zunehmenden Interesse im Musikleben können Borstlap’s Aufträge nicht bezahlt werden, und er lebt heute in Armut und Isolation in Amsterdam, wo ihm nicht anders übrig bleibt als die Amsterdamer ‘Harz IV’, wo man ihm schon informiert hat dass er, nun er gesellschaftlich ‘misslungen’ sei, auf Arbeit bei der lokalen Strassenbahn oder Parkanlagen gestellt werde. So werden abweichenden Kunstideeen von einer Staatsbürokratie abgestrafft, wie in der DDR unerwünschte Intellektuellen und Künstler mit gezwungenen Arbeit bei der Müllabfuhr ‘unschädlich’ gemacht wurden. Im freien Holland scheint man eine totalitären Staat gar nicht zu brauchen um ein vergleichbares Resultat erreichen zu können.
Sind die Niederländer denn so barbarisch, dass sie ihre Künstler, die im Ausland Anerkennung finden, mit finanziellen Staatszwangsmittel zum Schweigen bringen wollen? Allerdings nicht. Es scheint eher ein Mangel an Kulturbewusstsein zu sein, der ein einseitiges Kunstbegriff – das der sechziger Jahre – als einziggeltent betrachtet und alles andere ablehnt. In die guten alten linken Zeiten war Holland ein sehr progressives Land und als die progressieve Ideeen sich später als allgemeingeltend etablierten, wurden Alternative Tabu. Borstlap ist nicht der einzige Fall: der Amsterdamer figurativen Maler Wim Heldens war sein ganzes Leben von allen vielfältigen Kunstförderungen ausgegrenzt weil er sich nicht an der Partielinie der Concept Art anpasste; er litt Armut und Isolation, bis er in Amerika und England Sammler und Erfolg fand und sich schliesslich mit das Gewinnen des prestigiösen BP Award von der Londoner National Portrait Gallery in 2011 internationale Erkennung und Ruhm erwarb. Das war in Holland eine grosse Ueberraschung… wie die Presse ihn fragte: “Warum kennen wir Sie nicht? “ Glücklicherweise hat Heldens nicht sein Ohr abzuschneiden gebraucht und jung zu sterben, um seinen Erfolg noch erleben zu können.
Ueberall wird man ein Bedürfniss gewahr, die Zivilisationswerte Europas gegen die Auswüchse einer erodierenden Modernität in Stellung zu bringen. Die Künste zeigen meistens als Erste die Zeichen einer neuen Mentalität, und die neue figurative Malerei und die neue klassische Musik sind als Signale dieser Art zu verstehen. Künstler wie John Borstlap tragen an einer Zivilisationsbewusstsein bei und zeigen die Lebensfähigkeit Europäischer Kunsttraditionen, als Alternative zu durchgesägte Tierleichen, Pissoirs oder buchstäblich nichtssagende Klangkunst, alles vom Staat gefördert.
In diesen Zeiten, wo die Förderung der Künste sowieso unter Druck stehen, ist die Holländische Situation eine eindringliche Warnung.